Sonntags um 15 Uhr gehört nicht unbedingt zu den Zeiten, bei denen ein voller Kinosaal zu erwarten ist, schon gar nicht, wenn ein Film läuft, der seit Monaten auf DVD erhältlich ist. Trotzdem ist im Mannheimer Atlantis Kino kein Platz mehr frei, an der Kasse müssen Filmfreunde sogar nach Hause geschickt werden: Alle wollen „Vor der Morgenröte“ (Trailer) sehen. Nicht wenige der Besucher sind abends auch in der Alten Feuerwache, in der sich Regisseurin Maria Schrader und Drehbuchautor Jan Schomburg – dessen Debütroman „Das Licht und die Geräusche“ im März veröffentlicht wird – mit Insa Wilke, die gewohnt kluge und empathische Fragen stellt, über Stefan Zweig und die Filmproduktion unterhalten.
Sie habe der große Erfolg Stefan Zweigs im Exil überrascht, beginnt Insa Wilke das Gespräch. Maria Schrader nickt: „Vor allem in Frankreich war Zweig sehr viel populärer als in Deutschland.“ Es sei auch ein französischer Produzent gewesen, der mit der Idee an sie herangetreten war, einen Film über Lotte Zweig zu machen. „Ich stellte bald fest, dass mich die Jahre der Zweigs im Exil sehr viel stärker interessierten.“ Als Schauspielerin war Schrader in mehreren Filmen zu sehen, die in der Zeit des Nationalsozialismus spielen. „Über diejenigen, die gerettet und doch vom Krieg heimgesucht wurden, hatte ich mir bis dato wenige Gedanken gemacht.“
Die Farbenpracht, die Stefan und Lotte Zweig in Südamerika umgibt, war für das Duo Schrader und Schomburg als Kontrast zum Holocaust besonders interessant. „Der deutsche Faschismus hat sie bis in die Tropen verfolgt.“ Trotz der Opulenz der Bilder ist „Vor der Morgenröte“ streng formalisiert: Die Kapitel sind klar definiert, es werden die Stationen in den letzten sechs Jahren von Stefan Zweigs Exil gezeigt. Die Förderer waren skeptisch: Ihnen wurden in dem Film zu viele Namen genannt, zu viele verschiedene Sprachen gesprochen, überhaupt zu viel gesprochen. Der Erfolg aber gab Maria Schrader recht: Der Film wurde von der Presse hochgelobt und mit mehreren Preisen ausgezeichnet, mehr als 200.000 Kinogänger sahen ihn.
Schrader und Schomburg erzählen von den Dreharbeiten. Während die Innenaufnahmen in Berlin und Halle gefilmt wurden, flog das Filmteam für die Tropenszenen nach São Tomé, einen kleinen Inselstaat vor der Küste Gabuns. „Dort wurde wahrscheinlich noch nie ein Film gedreht.“ Alle Requisiten, vom Hund über das Auto zum Spiegelschrank, mussten extra dorthin transportiert werden. „Die Militärkapelle, die im Film zu sehen ist, ist übrigens von der Insel“, verrät Schrader. „Sie haben nicht absichtlich falsch gespielt. Der Dirigent wollte, dass wir nochmal neu drehen, aber wir fanden’s so gut!“
Wie im Film abgebildet wird, wahrte Stefan Zweig lange seine pazifistische Haltung und weigerte sich, sich deutlich gegen Hitler auszusprechen, wofür er unter anderem von Klaus Mann, Hannah Arendt und auch Zweigs erster Frau Friderike scharf kritisiert wurde. Eine Szene zu Beginn zeigt die Sitzung des PEN-Verbands 1936 in Buenos Aires. Emil Ludwig und Stefan Zweig sind die einzigen Vertreter der deutschsprachigen Schriftsteller. Während Ludwig klare Worte gegen den Nationalsozialismus findet, schweigt Zweig. „Es gibt viele Szenen im Film, die nicht eine alleinige Interpretation bedienen. Uns ging es so, als wir die Rede von Ludwig entdeckten. Aus unserer heutigen Perspektive hatte er selbstverständlich recht.“ Erst Zweigs Sichtweise zeigt: Emil Ludwig benutzt die gleiche Rhetorik wie seine Gegner, Polemik und Hysterie. Zweig, der 1941 schließlich doch vor dem PEN sprach, habe eine komplett andere Tonalität.
Maria Schrader vergleicht Zweigs Situation mit dem Spruch „Je suis Charlie“: „Natürlich ist das eine Erklärung von Solidarität und Betroffenheit, zugleich aber unglaublich vermessen: Keiner der Menschen, die das gepostet haben, ist ein vergleichbares Risiko eingegangen wie die Karikaturisten von Charlie Hebdo.“ Aus einem ähnlichen Grund habe sich Zweig so dagegen gewehrt, sich in diesem Paradies, in dem ihm keine Gefahr drohte, als einen Märtyrer und Opfer des Nationalsozialismus stilisieren zu lassen.
Besonders bei der Schlussszene in „Von der Morgenröte“, die nach dem Suizid von Stefan und Lotte Zweig einsetzt, war es dem Duo wichtig, sich der Realität mit Respekt zu nähern. „Wir geben einen Ausblick auf das Leben, auf die Zukunft, zeigen, dass Zweig seine Freunde grüßt und ihnen wünscht, die Morgenröte zu sehen.“ Wie sich die Zweigs zu dem Selbstmord entschließen, haben sie nicht gefilmt. „Wir wollten keine Szene erfinden; wir wollten Stefan Zweig als Vertreter der deutschen Exilschriftsteller darstellen und ihm nicht im privatesten Moment hinterherspüren.“
lesen.hören 11 in der Alten Feuerwache Mannheim
19. Februar 2017
Stefan-Zweig-Abend. Maria Schrader und Jan Schomburg lesen und erzählen
Moderation: Insa Wilke