Am zweiten Abend des lesen.hören-Festivals in Mannheim heißt es Carte Blanche für Sasha Marianna Salzmann und Necati Öziri: Die beiden (Theater-)Autoren können den Abend nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten und sprechen frei und ohne Moderation miteinander. Gleich zu Beginn betonen sie, dass sie die üblichen Vorstellungen mit biographischen Angaben ablehnen und fragen sich in Bezug auf Taiye Selasis TED Talk nach ihren drei „R“s, die ein viel konkreteres Bild einer Person entwerfen als Preise und Geburtsorte: Rituals, Relations und Restrictions. Salzmann verrät, dass sie, Öziri und andere des Berliner Gorki-Theaters, bei dem beide als Autoren und Dramaturgen arbeiten (oh nein, doch eine klassische biographische Aussage!), eine WhatsApp-Gruppe haben, in der sie sich jeden Tag austauschen, also sowohl Rituals als auch Relations abdecken. „Das ist mein Zuhause“, sagt Salzmann und wendet sich an Öziri: „Egal, wohin ich reise – ihr kommt immer mit.“
Für Salzmann und Öziri ist die Türkei Relation wie auch Restriction. Auf einer großen Leinwand blenden sie ein Foto ein, das ihren gemeinsamen Schreibtisch in Istanbul mit Blick über ein Häusermeer und den Bosporus zeigt. Hier entstanden Teile von „Außer sich“ und „Get Deutsch or Die Tryin‘“. „Wir halten uns gegenseitig davon ab, in die Türkei zurückzugehen“, sagen die beiden Autoren. Erst im Dezember ließ Sasha Marianna Salzmann ihr Ticket nach Istanbul in letzter Minute verfallen. „Das ist ja das Wesen faschistoider Strukturen: Wir wissen nicht, ob wir auf einer Liste stehen.“
Dann sprechen die beiden über Salzmanns Debütroman „Außer sich“, der auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2017 stand. Während der Gezi-Proteste war sie zufällig gerade in Istanbul, erzählt die Autorin. Öziri wirft ein: „Ich glaube, du ziehst sowas an!“ Es ist gar nicht leicht, die Essenz von „Außer sich“ zu benennen. „Jedes Feuilleton hat etwas anderes gesehen, worum es in dem Roman geht“, so Salzmann, „und das finde ich super!“ Auch Necati Öziri, der bereits vor der Veröffentlichung unzählige Entwürfe zu lesen bekam, musste sich einen Stammbaum der Familie aufmalen. „Warum hast du nicht leichter, eindeutiger, lesbarer geschrieben?“ Salzmann verrät, dass sie Probleme mit dem geschriebenen Wort hat – Geschichtsbücher könne man umschreiben, Romane jedoch nicht. „Es wirkt wahr und ich lehne die Performance von Wahrheit, von gefertigten Aussagen, ab. Ich habe mich gefragt: Wie entkommt man dem Mief?“ Die Idee dahinter sei, dass jede Figur das Recht auf eine eigene Perspektive und Geschichte habe. „Dazu kommt, dass ich nicht an das Konzept Zeit glaube.“
Nach „Außer sich“ soll es um Öziris Theaterstück gehen. „Hat das Schreiben dich verändert?“, will Salzmann wissen. „Ich habe schon immer geschrieben“, antwortet Necati Öziri, „allerdings nur für die Schublade. Das öffentliche Schreiben hat mich verändert – plötzlich ist man nackt. Auch wenn man nicht autobiographisch schreibt, schöpft man trotzdem aus den Erfahrungen, die man gemacht hat.“ In „Get Deutsch or Die Tryin‘“ erzählt der Dramaturg sowohl vom Putsch in der Türkei in den achtziger Jahren als auch von den Erfahrungen der zweiten Generation in Deutschland. „Obwohl ich das Stück für meine Großmutter, Mutter und Schwester geschrieben habe, die mich aufzogen, geht es um eine Vater-Sohn-Beziehung“, sagt Öziri. Vor der Geschichte der Türkei resigniert er: „Die Konflikte wiederholen sich. Gerade in der Türkei gibt es alle zehn Jahre einen Putsch.“
Zum Abschluss dieser Carte Blance haben sich Sasha Marianna Salzmann und Necati Öziri etwas Besonderes ausgedacht: Sie holen die Autorin Sivan Ben Yishai auf die Bühne, die ebenfalls Regisseurin und Autorin am Maxim-Gorki-Theater ist und tragen einen Ausschnitt ihres Stücks „Papa liebt dich“, das erst eine Woche zuvor seine Premiere feierte, vor. Danach laden die Autoren alle Besucher der Veranstaltung zu Çay und Baklava ein, um den Abend gebührend ausklingen zu lassen.
lesen.hören 12 im Eintanzhaus Mannheim
24. Februar 2018
Außer uns. Carte Blanche für Sasha Marianna Salzmann und Necati Öziri