Der eine ist Mitautor von „Mit Rechten reden“, dem anderen wurden rechte Tendenzen in seinem Debütroman vorgeworfen – wie es der Zufall will, kochte diese Diskussion erst hoch, nachdem die Veranstaltung auf dem lesen.hören-Festival bereits geplant war (chronologisch nachzulesen unter anderem hier: taz, 54books, Das Wetter, Tom Müller, Simon Strauß, Zeit Online). Und so beginnt die Veranstaltung mit einem unbeabsichtigten Scherz, als Moderator Peter Michalzik die Autoren Maximilian Steinbeis und Simon Strauß vorstellt: Beide sitzen „zu seiner Rechten“. Die Weichen sind gelegt, die Diskussion kann beginnen, bei der es übrigens sehr zivilisiert zugeht. Auch wenn Steinbeis und Strauß nicht immer einer Meinung sind, unterbrechen sie sich kein einziges Mal.
Zunächst geht es um Steinbeis‘ Buch „Mit Rechten reden“, das er zusammen mit Per Leo und Daniel-Pascal Zorn verfasst hat. Steinbeis stellt gleich zu Beginn klar, dass der Titel oft falsch verstanden wird: Er sei nicht als Imperativ gemeint, sondern als Infinitiv, als Problembeschreibung. „Ob wir wollen oder nicht: Rechte reden mit uns“, so Steinbeis, und darauf müsse man reagieren. „Das Dilemma ist ja, dass es nicht die baseballschwingenden Neonazis sind, die zum Gespräch auffordern.“ Er fasst das Sprachspiel der Rechten kurz zusammen: Auf der ersten Ebene gäbe es das „Arschloch-Opfer-Spiel“, eine (gern zweideutige) Behauptung, die in den Raum geworfen werde. Diese Provokation muss nicht begründet werden, allein die Kritik daran sei für die Neue Rechte Beweis ihres Wahrheitsgehalts. Auf der zweiten Ebene, so die These von „Mit Rechten reden“, sprängen Rechte zwischen verschiedenen Positionen, zwischen „Was heißt schon Wahrheit“, „Du bist doch für Toleranz“ und „Ihr Logos-Gläubigen haltet Widerspruch nicht aus“, hin und her.
„Uns geht es nicht um Motivforschung“, sagt Steinbeis. „Die Sprache ist der Anknüpfungspunkt. Bevor wir uns mit Ideologien rumkloppen, muss man sich erstmal fragen, wie über diese Inhalte geredet wird.“ Auf seinem Verfassungsblog, den Steinbeis seit 2009 betreibt, setzt er sich regelmäßig mit Rechten auseinander. Dies sei auch Teil seines Erfahrungsmaterials gewesen, verrät der Jurist. „Mir ist nicht so wichtig, ins Gespräch zu kommen – nur dann, wenn beschriebene Spielchen nicht gespielt werden.“
Simon Strauß‘ Roman „Sieben Nächte“ behandelt eigentlich ein ganz anderes Thema, auch wenn der Autor in beiden Büchern eine Form der Identitätssuche sieht. In dem Roman wird der Protagonist von einem T., einer Art Teufel (oder „Jammerlappen-Mephisto“, wie Steinbeis es ausdrückt) dazu aufgefordert, in sieben Nächten sieben Todsünden zu begehen. Er habe beim Verfassen des Textes lange nicht gewusst, dass dies ein Roman werden würde, sagt Strauß, sondern autopsychologisch geschrieben. Es wundere ihn, dass es so spät nach der Veröffentlichung plötzlich „zum Hobby vieler Leute“ wurde, rechte Passagen in dem Roman zu finden. Gegen den Begriff Generationenbuch verwehrt sich Strauß, es sei vielmehr „eine radikal subjektive Suche nach Bewusstsein“, ein Protagonist (der zu siebzig Prozent auf ihm selbst basiert, wie er sagt), der an der Zeit leide, an der Hyperironisierung und dem Zynismus, der seit dem „Zusammenbruch der großen Utopien und Geisteshaltungen“ vorherrsche, dazu käme das Ende der Uni, das Berufsleben und „der Panzer, den man sich zulegt“ – es müsse doch noch Begeisterung und Gefühle geben. „Ich glaube, Ihr Problem ist größer als die Rechten“, kommentiert Peter Michalzik trocken. Dann gibt es zu, dass er sich bei der Lektüre mehrfach ertappt gefühlt habe, vor allem bei der Beschreibung des bürgerlichen Milieus mit den Schlagworten „Tai-Chi, Fischgrätparkett und ZEIT-Abo“.
Sein Buch sei widersprüchlich, sagt Simon Strauß, immerhin gebe es auch Ironie, allerdings eine romantisierende, keine zynisch-kalte Ironie. In habe interessiert, inwiefern Sicherheiten und Institutionen dazu führen, dass man abgebrühter werde. „Die Frage ist doch: Hat man genug in diesem Leben, will man mehr? Klar, das ist eine brigittenhafte Ratgeberfrage, aber wenn man sie ernsthaft stellt, ist sie mit 93 noch relevant.“
Steinbeis bekennt, dass ihm „Sieben Nächte“ erst bei der zweiten Lektüre wirklich gefallen habe, beim ersten Lesen sei er vom öffentlichen Diskurs wohl zu vorgeprägt gewesen, „deswegen fand ich es unfassbar pubertär“. Als Michalzik danach fragt, ob man denn rechte Tendenzen in dem Roman erkennen könne, ist es seine erste Lesart, auf die Maximilian Steinbeis zurückkommt. „Diese pubertäre Einstellung zur Welt, einen Feind suchen und die Welterfahrung im Kampf zum Kriterium machen, das haben die Rechten auch.“ Er vergleicht dies mit Ernst Jüngers „Das abenteuerliche Herz“, dem „Pubertätsbuch schlechthin“, das eine wichtige Referenz für die Rechten darstellt. Simon Strauß hält dagegen: „Ich glaube nicht, dass Heroismus per se rechts ist, dieses Narrativ gilt auch für links, nicht umsonst werden Robin-Hood-artige Gerechtigkeitskämpfer wie Che Guevara verehrt.“ Maximilian Steinbeis ist mehr als skeptisch. „Das würde ich bestreiten“, sagt er. Zwar gebe es „x Beispiele von linken Heldenfiguren“, aber der Heroismus als Gerechtigkeitskampf sei etwas anderes als der „Heroismus als ästhetische Haltung der Welterfahrung“, und dies mache am Ende den Unterschied aus: Während die Linken einen Gerechtigkeitssinn verträten, wiesen sich die Rechten durch ihre „pubertäre Haltung“ aus.
Und somit sind wir mittendrin in der Diskussion um die Lage der Nation, dem letzten Teil des Abends. Die gesellschaftskritische Linke, so Strauß, sei durch eine moralische, politisierende abgelöst worden und habe somit die Tür für die Neue Rechte aufgemacht. Er beruft sich auf Didier Eribon, der konstatiertt, dass das Arbeitsmilieu, die klassisch linke Domäne, plötzlich rechts sei. Steinbeis bestätigt dies: „Die Linke ist in großer Gefahr, das Feld der Kapitalismuskritik an die Rechte zu verlieren.“
Strauß kritisiert Merkels Haltung zur Essener Tafel, die er als „moralisierend“ bezeichnet und somit zur „Enttäuschung in der bildungsfernen Klientel“ führen müsse. Auch die Debatte über Gender oder Transgender-Toiletten hält er für weniger wichtig als die um Klassen, Milieus und Kapitalismus – „ökonomisch betrachtet bringt diese Frage überhaupt nichts.“ Auch hier hält Steinbeis dagegen: Die Zeiten seien schwieriger, da sich mehrere Konfliktsituationen übereinander lagern. Er hält dies aber für einen „gesellschaftlichen Fortschritt“.
Peter Michalzik kommt erneut auf seine ursprüngliche Frage zurück: Was hält denn der Autor von „Sieben Nächte“ von den rechten Unterstellungen? Strauß gibt sich betont gelassen. Das hinge von der Definition von „rechts“ ab. Hielte man eine „pubertäre, romantische Weltanschauung“ für rechts, dann sei ihm das gleich, da es mangelnde Kenntnisse der Romantik beweise, immerhin würde man „weder Mary Shelley noch Novalis politisch verordnen“. Strauß betont seine Meinung, Literatur könne auch nur ästhetisch, künstlerisch sein, ohne auf tagespolitische Aspekte eingehen zu müssen. Und kritisiert das Theater: „Dort erkennt man einen vorauseilenden Gehorsam, ein konkretes politisches Statement machen zu müssen. Aber Literatur darf unpolitisch sein.“
Zum Abschluss dieses langen, aber interessanten Abends fragt Michalzik, was unsere Zeit kennzeichnen würde. „Ich beschäftige mich im Verfassungsblog mit Ungarn, Polen, der Türkei, UK, Katalonien und Österreich – man weiß gar nicht mehr, in welche Richtung man schauen soll“, so Steinbeis, überall würde es einem „um die Ohren fliegen“. Im Vergleich dazu sei die problematische Regierungsfindung in Deutschland ein „Luxusproblem“. Simon Strauß lässt es sich nicht nehmen, die Veranstaltung mit einem langen, leidenschaftlichen Plädoyer zu beenden. „Es fehlt etwas, und das ist das Schöne, die Kraft von Kunst, Literatur und Film!“ Europa müsse als bürokratische, funktionalistische Idee durch eine ästhetische komplementiert werden. „Kultur ist Hoffnung und die Hoffnung, dass es etwas Schönes gibt, muss bestehen dürfen.“
lesen.hören 12 in der Alten Feuerwache Mannheim
01. März 2018
Eins rechts, zwei links und drei zurück. Maximilian Steinbeis und Simon Strauß diskutieren die Lage der Nation
Moderation: Peter Michalzik