Ein Fahrstuhl atmet schwer, ein Moskito warnt mit Düsenjägerstimme vor der Flucht nach Europa, das Morgenlicht setzt sich in die Küche und eine orthodoxe Kirche spricht mit sich selbst – in Emine Sevgi Özdamars neuem Roman „Ein von Schatten begrenzter Roman“ ganz normal. Gegenstände und Tiere sind Gesprächspartner, führen Selbstgespräche oder sprechen Warnungen aus.
Am zweiten Tag des Mannheimer Literaturfestivals lesen.hören spricht aber vor allem die Autorin selbst – oder eher: Sie lässt ihre Erzählerin sprechen. Katja Lange-Müller, die die Moderation des Abends übernommen hat, versucht in ihren einleitenden Worten, den Roman in wenigen Sätzen zusammenzufassen, nicht ganz einfach, wie sie selbst mit einem Schmunzeln zugeben muss. Lachen im Saal. Auch Özdamar lacht.
Fast zwanzig Jahre liegen zwischen Özdamars letztem Roman und dem 760 Seiten starken „Ein von Schatten begrenzter Raum“, der es jüngst auf die Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse 2022 geschafft und bereits den Bayrischen Buchpreis 2021 erhalten hat.
Der Roman handelt von den Erfahrungen einer jungen Frau, die 1971 nach dem Militärputsch in der Türkei nach Europa flieht, von ihren Begegnungen mit Menschen, den lebenden und den toten und den Orten, die sie besucht und kennenlernt. Katja Lange-Müller beschreibt die Sprache Özdamars als „autark, bildhaft und manchmal ironisch“, das Buch entwickele einen so starken Erzählsog, dass man ihn beinahe physisch spüren könne.
Das merken die Zuschauer*innen im Saal in den Lesesequenzen sofort. Was nicht zuletzt auch an der Vortragsweise der Autorin liegt: Wenn Özdamar liest, hört man ihr zu. Ihre jahrelange Erfahrung als Theaterschauspielerin ist deutlich spürbar. Sie liest betont, mit dramaturgischen Pausen, hebt immer wieder die Hände und unterstreicht ihre Passagen mit expressiver Mimik. Einmal imitiert sie sogar eine Schar Krähen. All das verleiht der Lesung trotz der Thematik eine lockere und lustige Stimmung, auch weil die Chemie stimmt zwischen Moderatorin und Autorin, die sich schon länger kennen.
Wenn die Ich-Erzählerin von einer Begegnung mit Prostituierten auf der Straße des 17. Juni in Berlin erzählt, die ihr das Fahrradfahren beibringen, fühlt man sich, als wäre man dabei. Das liegt am Buch selbst, aber auch an Özdamars eigenwilliger Lesetechnik.
Als Özdamar-Kennerin weiß Katja Lange-Müller, dass die Autorin auch gerne eigenwillig auf Fragen antwortet, die entsprechend weniger Raum einnehmen als die Lesung selbst. Die Frage nach autobiografischen Elementen, die in den Roman eingeflossen sind, beantwortet Özdamar mit einer Anekdote: „Das werde ich oft gefragt. Meistens antworte ich darauf mit Ja. Aber ob Sie mir das jetzt glauben, müssen Sie selbst entscheiden.“
Bevor sie zum Schluss noch einen langen Auszug vorliest, in der ein sprechender Lampenschirm namens Williams eine prominente Rolle einnimmt, gibt Özdamar doch noch etwas preis. Katja Lange-Müller möchte wissen: „Wieso sind es neben den Gegenständen auch immer wieder Tiere, die das Buch tragen und so intelligente Gesprächspartner darstellen?“ Özdamar überlegt. Dann antwortet sie augenzwinkernd: „Ich hatte mal 23 Katzen.“
25. Februar 2022
Emine Sevgi Özdamar und ihr großer Roman „Ein von Schatten begrenzter Raum“