Hadija Haruna-Oelker und Dunja Hayali über Differenz, Diskriminierung und die Vision eines gleichberechtigten Miteinanders

„Wo kommst du wirklich her?“ – Das ist eine Frage, die Hadija Haruna-Oelker und Dunja Hayali gut kennen. Die beide Journalistinnen, Hayali ist vor allem bekannt vom ZDF und Haruna-Oelker als Stimme des HR und nun auch Autorin, gehen unterschiedlich damit um. Hayali stelle diese Frage aus Neugier oft selbst, wie sie sagt, während Haruna-Oelker darin eine Fremdzuschreibung sieht. Oder kommt es darauf an, wer sie stellt? Eine schwierige Debatte, bei der sie sich nicht einig werden. Aber eine, die es zu diskutieren lohnt. Um solche Fragen, um Fremdheit, Differenz und Diskriminierung, soll es in ihrem Gespräch im Rahmen von lesen.hören gehen.

© Alexander Rozman

Das Interesse an diesen Themen ist groß: Ein „Heute ausverkauft“ Aufkleber prangt auf dem Plakat am Eingang der Alten Feuerwache, das für diesen Abend Hadija Haruna-Oelker und Dunja Hayali ankündigt. Dementsprechend lebendig geht es zu, während das Publikum auf die beiden Rednerinnen wartet. Es ist Internationaler Frauentag – „Kampftag“, wie Haruna-Oelker selbst schreibt. Möglicherweise sind auch deshalb so viele Menschen gekommen: Um zwei Frauen über hochaktuelle gesellschaftliche Themen sprechen zu hören.

Das Dimmen des Lichtes schließlich dimmt auch die Gespräche, und kurz darauf betreten die zwei Journalistinnen die Bühne und Hayali begrüßt das Publikum: „Liebe Menschen!“ Die Stimmung ist gelöst und Hayalis humorvolle Art sorgt immer wieder für Lachen im Publikum. Auch Hadija Haruna-Oelker wird es mit der humorvollen Gesprächspartnerin ähnlich ergehen.

Die Dynamik zwischen den beiden Frauen ist erfrischend, das Zuhören macht Spaß: Sie sprechen vertraut miteinander, tauschen sich ernst über sozio-politische Fragen aus und lachen zusammen mit dem Publikum. Hadija Haruna-Oelker ist zwar nach eigener Aussage aufgeregt (das Publikum applaudiert aufmunternd), doch die souveräne und ein wenig schelmische Hayali nimmt ihr die Nervosität, und spätestens bei ihrer ersten Lesung verliert die Stimme der Debütautorin jegliches Zittern. Es geht um Differenz – genauer: Die Schönheit der Differenz. So heißt Hadija Haruna-Oelkers Buch, das im März im btb Verlag erschienen ist und 560 Seiten umfasst – ein „großer Wurf“, wie es Dunja Hayali bezeichnet.

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„Differenz ist schön, aber wir müssen über Diskriminierung reden.“

Hadija Haruna-Oelker wendet sich dem Publikum zu und spricht das Motto des Abends aus: „Differenz ist schön, aber wir müssen über Diskriminierung reden.“ Genau das macht sie in ihrem Buch, mit dem sie „den Finger in die Wunde legt”. Denn aktuell ist Diskriminierung „ein nicht besprochenes Thema”, so Haruna-Oelker. Sie reflektiert in Die Schönheit der Differenz retrospektiv, was sie als Kind gelernt hat: In welcher Abhängigkeit Bildung und soziale Klassen stehen und dass es darüber durchaus Debatten gibt, aber keine Politik, die damit beschäftigt. Sie schreibt aus der Perspektive eines Schwarzes Mädchens, das in Frankfurt aufwächst und mal Hochdeutsch, mal Kiezdeutsch spricht. Als sie letztere Fähigkeit beweist, fällt just in dem Moment im eigentlich stillen Publikum klirrend ein Glas zu Boden, die Leute sind zugleich überrascht und amüsiert. Findet das Weinglas etwas Anstoß am gekonnten Kiezdeutsch? Das Lachen gilt der Autorin und dem schockierten Weinglas.

Anhand ihrer Kindheit analysiert die Haruna-Oelker sozio-kulturelle Phänomene. Ihre Stimme ist stark und eindringlich, als sie Auszüge aus ihrem Buch vorliest und die Zuhörenden mitnimmt auf eine „Reise”, wie Dunja Hayali es treffend formuliert. Die Inhalte sind so persönlich, zugleich aber so allgemeingültig, so wichtig. Schon der erste kurze Abschnitt ist voller intertextueller Verweise, voller wichtiger Beobachtungen. Sie schreibt vom „Assimilierungsblues“, vom Schubladendenken, von Identität, Intersektionalität, Klassismus und Unterdrückungsmechanismen. Hayali setzt nach einem kurzen Blick auf ihre Notizen ihre Brille ab und stellt eine essentielle Frage: „Wie bringst du die Leute dazu, offen für Neues zu sein?” Die Antwort: Haruna-Oelker sieht sich als Brücke. Sie erklärt, sie habe sich zur Expertin ihrer Selbst gemacht. Doch sie blickt weiter über ihren persönlichen Horizont hinaus; spricht von der Schoah, der Verfolgung von Sinti*zze und Rom*nja, von trans Frauen und Kolonisierten. Manche Begriffe muss sie erläutern: „Neurodiversität“, die sogenannte (Entwicklungs-) Störungen wie Legasthenie umfasst, kennt nicht jede*r im Publikum. Zwar müssen manche Begriffe erklärt werden, eines aber nicht: Bei Hadija Haruna-Oelkers Aussage „trans Frauen sind auch Frauen” bricht einvernehmlich Applaus aus. Ihr Buch trägt auch eine Aufforderung in sich: Die Menschen sollen sich Zeit nehmen, Geist, Körper und Person der/des anderen zu erkennen.

Viele Personen im Publikum lehnen sich gespannt nach vorne, als wollten sie jedes Wort aufsaugen. Manche nicken, aus der ein oder anderen Ecke hört man zustimmendes Murmeln. Vielleicht ist es die Aktualität des Themas, vielleicht die nahbare Art der beiden Gesprächspartnerinnen, vielleicht der Fakt, dass die thematische Dichte von Haruna-Oelkers Buch beinahe jede*n abholt. Immer wieder wird die so natürlich verlaufende Unterhaltung durch zustimmenden Applaus begleitet. Das Gespräch trägt sich wie von selbst und streift neben Framing durch die Medien die sogenannte Genderdebatte und die Schwarzen Studierenden, die an der ukrainisch-polnischen Grenze aktuell abgewiesen werden. Dunja Hayali ist ebenso interessiert, wie die Zuhörenden; macht sich zusätzlich zu den vorbereiteten Fragen Notizen, während Haruna-Oelker erzählt, oder hört mit in den Händen aufgestütztem Kinn zu. Es wirkt, als könnten die beiden ewig miteinander reden – und das nicht nur wegen der Dicke des Buches. Haruna-Oelker regt zum Nachdenken an.

560 Seiten voller Beobachtungen von und eigenen Erfahrungen mit Differenz und Diskriminierung. Was wünscht sich Hadija Haruna-Oelker von der Gesellschaft, die sie auf diesen Seiten analysiert, fragt Dunja Hayali zum Abschluss der Veranstaltung? „Eine gemeinsame Sprache wäre schön“, eine Sprache, die ein Miteinander schafft, das durch Offenheit und Neugier geprägt ist. Der Abend kann nicht die von Hayali scherzhaft angekündigten fünf Stunden dauern, obwohl die Aufmerksamkeit groß ist und bestimmt viele so lange bleiben würden. Die Chance, an die Themen anschließen zu können, nutzt das Publikum deshalb rege: Es bildet sich eine Schlange vor dem Verkaufsstand, auf dem sich die dicken Bücher stapeln und darauf warten, von der Schönheit der Differenz zu erzählen.

© Alexander Rozman

Hadija Haruna-Oelker und Dunja Hayali verhandeln die Schönheit der Differenz
08. März 2022

Von Rebekka Langhans

Rebekka liebt das Schreiben, das Lesen, die Literatur und den Austausch darüber schon immer. So hat es sie ins vielseitige Mannheim verschlagen, wo sie Literatur, Medien und Kultur der Moderne im Master studiert. Diese Liebe auszuleben und sie mit gesellschaftlichen Themen zu verbinden, die ihr besonders wichtig sind, bietet ihr das journalistische Schreiben.